Joomla Template by Joomlaplates.com

Seelenfreundschaft – Antonia Werr und Freiherr von Pelkhoven

Leseprobe

Kapitel eins

Jetzt kann ich nicht einmal mehr die Feder halten, das ist beinah das Schlimmste. O Herr, das ist der bittere Teil des Sterbens: dass dem Menschen alles aus den Händen fällt, nicht nur die Feder, alles. Es gäbe noch so viel zu tun, zu regeln, zu klären, zu organisieren, so viel Kleines und Großes von enormer Wichtigkeit, es hört ja niemals auf! Aber bescheide dich, Max! Für Zehntausende von Sommern und Wintern hat die Welt sich gedreht, bevor du ihr Licht erblickt hast, dieses schöne Erdenlicht, und wenn du, was nicht mehr fern ist, die Welt wieder verlässest, wird sie sich gleichmütig weiterdrehen, für die nächsten zehntausend Sommer und Winter und noch länger.

Doch nein, das Erdenlicht war nicht immer schön, und das Leben war für mich kein Kinderspiel, sondern oft eine harte, eine bittere Schule. Aber sollte ich etwa jetzt auf meine letzten Tage nachtragend werden? Ich habe nichts zu beklagen.

Wem erzähle ich das? Dir, wenn du das hier liest. Ich kenne dich nicht, kann dich nicht kennen, denn bei mir hier in München schreibt man gerade den 13. September 1864, es ist ein warmer Spätsommertag. Wann und wo du wohl sein wirst? Ich weiß es nicht, ich kann dich nicht sehen, nicht hören. Du bist die Zukunft, du bist mir ein fernes Versprechen, bist meine stille Hoffnung auf menschlichere Zeiten. Ich bin die Vergangenheit, oh ja, ich spüre es schon in allen Knochen …

Gerne schriebe ich noch einen Brief an Antonia Werr, mit ihr könnte ich über all das sprechen, das Leben und den Tod, aber ich kann mich nicht mehr rühren. Ich werde den Brief diktieren müssen, wie die letzten schon – falls ich überhaupt des Diktierens noch mächtig bin; indes, ich will meine Lage nicht dramatisieren. Bleib einfach bei den Dingen, Max, bei den Sachverhalten! So bin ich immer am besten verfahren. Und die Dinge erfordern schließlich Aufmerksamkeit und Hingabe, wenn man ihnen gerecht werden will, und das wollte ich stets. Hingabe – ist es das, was uns verbindet, sie und mich? Hm, wohl auch sonst noch manches.